Häufiges und langes Tragen von Babies wird meist als einschränkend wahrgenommen. Ob im Beruf, beim Einkaufen oder anderen Tätigkeiten im Alltag – der Kinderwagen ist einfach praktischer, so die gängige Meinung. Damit findet jedoch eines der wichtigsten Grundbedürfnisse von Kindern zu wenig Beachtung. Hier zeigen wir Dir, wieso das Tragen eine besondere Rolle für Dein Baby spielt und mit welchen Hilfen es problemlos in den Alltag eingebunden werden kann.
Warum wollen Babys überhaupt getragen werden?
Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Vorstellung vom Umgang mit unseren Kleinsten deutlich verändert. Während es früher selbstverständlich war, dass wir unseren Nachwuchs überall mitgetragen haben und er auch nachts nah bei uns lag, sieht das heute ganz anders aus. Der Trend ging immer weiter hin zu Stubenwagen und dem Kinderbett. In der naturwissenschaftlichen Einordnung zählen die Menschenkinder jedoch genau wie ihre nahe Verwandten, den verschiedenen Affenarten, zu den Traglingen. Nicht ohne Grund – Menschen sind in ihrer ersten Lebensphase noch sehr unselbstständig und auf den direkten Kontakt zur Mutter angewiesen. Im Gegensatz zur heutigen Zeit führten die Menschen früher außerdem eine ausschließlich nomadische Lebensweise. Sie lebten nicht in großen, stabilen Behausungen, sondern zogen ohne feste Bleibe weit umher, den Witterungsbedingungen und anderen Gefahren ständig ausgeliefert. Durch den unmittelbaren Körperkontakt wurde dem Nachwuchs Sicherheit vermittelt.
Genau wie es bei anderen Primaten beobachtet werden kann, gucken sich auch Menschenkinder während des Tragens viele Bewegungsabläufe von der Mutter automatisch ab und schärfen ihre motorischen Fähigkeiten. Dieses Grundbedürfnis hat sich seit der Zeit unserer tierischen Vorfahren kaum geändert. Das Tragen hatte also eindeutige Vorteile und war, bzw. ist extrem wichtig für die Entwicklung der Kleinsten.
Gesundheitliche Faktoren beim Tragen von Kindern
Dass Menschenbabies Traglinge sind, ist alleine schon daran zu erkennen, dass sie reflexartig die Beine anziehen, sobald sie hochgenommen werden. Diese Haltung wird auch M-Haltung oder Anhock-Spreiz-Haltung genannt. Sie machen sich damit ganz instinktiv für den Hüftsitz bereit, es liegt ihnen sozusagen im Blut. Aber auch aus medizinischer Sicht ist das Tragen von Vorteil. Nicht zuletzt, weil diese angeborene Körperhaltung schonender für den kindlichen Bewegungsapparat ist: Der Rücken des Babys ist zunächst leicht abgerundet: Die Wirbelsäule richtet sich erst mit den nächsten Jahren richtig auf. Daneben werden die Hüftgelenke durch die M-Haltung entlastet, sodass es im weiteren Leben weniger häufig zu Hüftproblemen kommt.
Kinder, die sehr häufig getragen werden, weinen laut einer Studie deutlich weniger als solche, die überwiegend im Kinderwagen liegen. Der anhaltende Kontakt zur Mutter gibt ihnen Sicherheit und Vertrauen, dass die Mutter zum Beispiel bei Angst oder Hunger direkt zur Stelle ist. Die Mutter nimmt auf diese Weise nicht nur Lautäußerungen des Kindes wahr, sondern kann auf kleinste Bewegungen reagieren. Umgekehrt nimmt natürlich auch das Baby die Emotionen der Mutter direkt wahr und steht, je nach Position, im ständigen Blickkontakt zu ihr. Das fördert die frühe Kommunikation und Bindung zwischen Mutter und Kind ungemein.
Liegt das Kind außerdem zu oft und zu lange auf dem Rücken, kann es zu einer sogenannten Plagiocephalie kommen. Das ist eine Abplattung des Hinterkopfes durch eine Verformung des noch weichen Schädels. Sie kann symmetrisch, aber auch dazu führen, dass der Kopf asymmetrisch verformt wird. Hierdurch können sich wiederum Folgen bemerkbar machen, wie eine gestörte Entwicklung der sensomotorischen Fähigkeiten. Seitdem empfohlen wird, Babys zum Schlafen ausschließlich auf den Rücken zu legen, beobachte ich bei vielen Kindern eine Verformung des Hinterkopfes.
Schädlich ist das Tragen für das Kind dagegen nie. Noch heute wird der Nachwuchs in vielen Kulturen überwiegend getragen. Es wird vermutet, dass sich diese Kinder motorisch sogar schneller entwickeln, als „liegende Kinder“.
Angst vor Rückenschmerzen?
Während durch das Tragen keine gesundheitlichen Nachteile für das Kind entstehen, wird der Rücken der Mutter natürlich sehr beansprucht. Mittlerweile existieren glücklicherweise verschiedene Tragehilfen, die sowohl der Mutter, als auch dem Kind den nötigen Komfort geben. Auch muss man ein Baby natürlich nicht den ganzen Tag tragen, wenn es sich prima ablegen lässt. Auch ein Kinderwagen hat natürlich seine Berechtigung.
Komforttrage

Diese Tragehilfe ist bereits „fertig“. Sie wird nicht wie ein Tragetuch geschnürt, kann jedoch mit Klettverschlüssen oder Schnallen befestigt werden. Dein Baby kann sicher auf dem Bauch oder dem Rücken getragen werden, während die Last gleichmäßig auf Deinen beiden Schultern verteilt wird, bzw. bei einigen Modellen, lastet ein Großteil des Gewichts auf der Hüfte, was die Schultern entlastet (z.B.Ergo Carrier, Manduca) Hier gibt es unterschiedliche Modelle, wobei viele erst für Kinder ab etwa fünf Monaten geeignet sind. Im Gegensatz zu einem Tragetuch sind die Komforttragen nicht völlig flexibel, daher muss für die ganz Kleinen meist noch ein Neugeboreneneinsatz integriert werden. Auch ist eine Kopfstütze ist häufig dabei.
Mei Tai Trage
Schon lange im asiatischen Raum verwendet, erfreut sich die Mei Tai Trage mittlerweile auch bei uns immer größerer Beliebtheit. Sie stellt eine Mischung aus Komforttrage und Tragetuch dar: Vom Prinzip her aufgebaut wie eine übliche Komforttrage, jedoch aus deutlich weicherem und elastischem Material. Der Vorteil: Diese Trage kann in den meisten Fällen von Geburt an verwendet werden. Dein Kind kann ebenfalls auf dem Rücken oder Bauch getragen werden. Der Unterschied zur Komforttrage liegt unter anderem darin, dass es keine Schnallen gibt. Die Mei Tai Trage wird am Ende lediglich geknotet. Sie ist super einfach zu handhaben und nimmt auch im Kinderwagen nicht viel Platz weg. Das Gewicht lastet allerdings ausschließlich auf den Schultern, warum diese Trage überwiegend für die ersten Monate gut geeignet ist.
Der Ringsling

Dieses etwa zwei Meter lange Tragetuch befestigst Du diagonal an Deinem Körper, während Du Dein Kind auf dem Rücken, dem Bauch oder auch an der Hüfte tragen kannst. Das Tuch wird mithilfe von zwei Metallringen in die gewünschte Position gebracht. Hierfür erfordert es einiges an Übung, bis es für Euch beide angenehm sitzt. Auch musst Du darauf achten, dass der Bereich unter dem Po Deines Kindes straff gezogen wird: Im Unterschied zum „richtigen“ Tragetuch reicht der Stoff beim Ringsling nicht aus, um hier einen stabilisierenden Knoten zu bilden.
Da der Ringsling durch seine Gestaltung asymmetrisch ist, lastet das Gewicht Deines Kindes auf einer Deiner Körperseiten. Das kann sich, wenn das Kind heranwächst, in Schultern und Rücken durch Verspannungen bemerkbar machen. Ist das der Fall, solltest Du auf eine andere Tragehilfe umsteigen.
Das Tragetuch

Die wohl flexibelste Variante ist das Tragetuch. Dieses ist besonders für die ganz kleinen Zwerge am besten, da es weich und bei vielen Marken zudem elastisch ist. Mit einer Länge von bis zu etwa fünf Metern wirkt die Bindetechnik des Tragetuchs erstmal etwas kompliziert, ist aber für alle Mitglieder der Familie sehr schnell erlernbar. Rücken und Kopf Deines Kindes werden optimal durch das weiche Material gestützt, genauso ist die Spreizhaltung der Beine durch die Bindung mit mehreren Tuchbahnen gewährleistet. Dank des weichen Materials kann das Kleine also in seiner natürlichen Körperhaltung verbleiben, während es sich Deinem Körper anschmiegt und sich sicher fühlt. Es gibt verschiedenste Bindetechniken: die Wickelkreuztrage bei der das Baby vor dem Bauch getragen wird, die Rückentrage für ältere Babys, den Hüftsitz uvm.
Auch wächst das Tuch sozusagen mit – durch seine beträchtliche Länge kann es dem wachsenden Kind flexibel angepasst werden. Die weichen Tragetücher sind in vielen Farben und mit elastischen und unelastischen Stoffen erhältlich.
Wofür Du Dich schließlich entscheidest ist Geschmackssache. Eine Trageberatung, die mittlerweile in vielen Städten angeboten wird, kann Dir sicher helfen. Du kannst dort verschiedene Modelle ausprobieren, häufig auch für eine Weile ausleihen, bevor Du Dich zum Kauf entschließt.
Beim Tragenetzwerk kannst Du nach Trageberaterinnen in Deiner Nähe suchen.
https://tragenetzwerk.de/index.php/tragen/informationen-zur-trageberatung