Gastartikel von Dagmar von Cramm, Ernährungswissenschaftlerin und Autorin. Ihr Anliegen: Neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft in die Praxis umzusetzen; auf ihrem Blog, in Büchern, sozialen Medien, TV und Magazine. Ihr Schwerpunkt ist die Familienernährung – vom ersten Tag der Schwangerschaft an. In diesem Beitrag geht es um das Mikrobiom des Kindes am Tag der Geburt und danach und wie die Darmflora eines Babys positiv begleitet werden kann.
Was ist das überhaupt – Mikrobiom?
Das Mikrobiom umfasst Mikroorganismen und ihre Stoffwechselprodukte, die unsere Haut, Schleimhaut und den Darm besiedeln – früher auch als Darmflora bezeichnet. Ihre Gesamtheit heißt heute Mikrobiota. Sie umfasst Bakterien, Pilze und Viren. Die Darmbakterien führen eine Art Co-Existenz in unserem Körper. Auch wenn das für dich so klingen mag, als ob es unerwünscht sein könnte: Im Gegenteil! Eine gut entwickelte Darmflora ist für uns lebensnotwendig. Sie spielt eine große Rolle bei der Verwertung unserer Nahrung und bestimmt, wie gut wir Nahrungsmittel vertragen. Außerdem stellt das Mikrobiom eine Barriere gegenüber krankmachenden Keimen dar und unterstützt so unser Immunsystem.1 Deshalb ist es wichtig, das Mikrobiom deines Babys zu stärken.
Welche Faktoren haben Einfluss auf unser Mikrobiom?
Das Darmmikrobiom wird von vielen Dingen beeinflusst. Eine Riesenrolle spielt die Genetik von dir und deinem Partner – das kannst du nicht ändern. Aber ähnlich entscheidend ist deine Gesundheit. Deshalb ist es sehr wichtig, dass du während der Schwangerschaft ärztlich und von einer Hebamme begleitet wirst. Ob du Sport in der Schwangerschaft machst, wie deine psychische Gesundheit ist und auch deine Ernährung in der Schwangerschaft, spielt jetzt eine Riesenrolle für dein Kind: Es fühlt mit dir, wird von dir über die Nabelschnur versorgt, es trinkt dein Fruchtwasser und schmeckt so was du in dieser Zeit isst. Einen erheblichen Einfluss auf seine Darmmikrobiota hat die Geburt selbst.2
Das Mikrobiom von Kaiserschnitt-Babies
Die Art der Geburt beeinflusst die Entwicklung des Mikrobioms erheblich.
Kommt dein Baby durch einen Kaiserschnitt zur Welt, entwickelt es ein Mikrobiom, die deiner Hautoberfläche und der des Entbindungspersonals ähnelt. Es finden sich vorrangig Staphylokokken in der Darmschleimhaut des Babys. Diese haben eine weniger positive Wirkung im Körper. Kaiserschnittbabys scheinen deshalb ein größeres Risiko zu haben, später Asthma oder Übergewicht zu bekommen.
Wird dein Baby hingegen vaginal, also auf natürlichem Wege geboren, besteht seine Darmflora hauptsächlich aus deinen vaginalen Bakterien, die anders zusammengesetzt sind. Es überwiegen die Laktobazillen (Milchsäurebakterien) und Bifidobakterien. Daraus entwickelt sich eine erhöhte Vielfalt an „guten“ Mikroorganismen. Das schützt dein Baby besser vor schädlichen Keimen.
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In den letzten Jahren hat sich das sogenannte „Vaginal Seeding“ etabliert. Vielleicht hast du davon schon einmal gehört? Dabei wird das Baby nach der Kaiserschnittgeburt mit Vaginalsekret der Mutter „geimpft“. Dadurch ähnelten die Mikrobiom-Proben nach den ersten 30 Tagen denen, der vaginal geborenen Kindern, wie bei einer Studie herauskam.3 Es gibt unterschiedliche Methoden, um das Kind damit zu „impfen“. Die Hebamme kann mit einem Q-Tipp oder einem Lappen über die Vulva der Mutter streichen und dann über das Gesicht des Kindes bzw. es daran saugen lassen. Das „Vaginal Seeding“ ist allerdings bislang nicht unumstritten. Das Hauptargument dagegen ist die Vermutung, dass Krankheiten auf das Baby übertragen werden könnten. Es ist weitere Forschung nötig, um den wahren Nutzen ermitteln zu können.4 Ein Beratungsgespräch kann dir bei der Entscheidung sicher helfen.
Und nach der Geburt? – Stillen!
Auch nach der Geburt gibt es Faktoren, die Einfluss auf die Entwicklung des Mikrobioms deines Babys haben. Am wichtigsten ist die Muttermilch. Also ein Argument mehr fürs Stillen!
Neugeborene, die gestillt werden, sind weniger anfällig für Darminfektionen, geht aus Studien hervor.5 Für die Vielfalt der Bakterien im Darm ist Stillen ebenfalls gut. Muttermilch ist reich an Milchsäurebakterien und Bifidusbakterien, welche zu den Erstbesiedlern des Darms gehören. Neben Wasser, enthält Muttermilch aber auch wertvolle Vitamine, Proteine, Spurenelemente und Fette sowie Hormone und Enzyme. Besonders wichtig für die Darmflora sind die Humanen Milch-Oligosaccharide (HMO; eine Art von Zucker). HMOs sind für Babys unverdaulich, wirken also wie Ballaststoffe. Sie sind wie Nahrung für die Mikrobiota – Stillkinder haben ein besonders reiches Mikrobiom. Und das wiederum schützt dein Baby vor Krankheitserregern und Entzündungsreaktionen. Nicht oder wenig gestillte Kinder weisen eine geringere Vielfalt an Mikroorganismen auf. Die Vielfalt und Zusammensetzung des Mikrobioms hängt von der Muttermilchaufnahme pro Tag ab.6 Deshalb spielt deine Muttermilch eine wichtige Rolle beim Aufbau der kindlichen Darmflora.
Die ersten 1000 Tage…
Das Mikrobiom von Babys ist allgemein zwischen den ersten 1000 – 10000 Tagen beeinflussbar. Auch die frühkindliche Ernährung beeinflusst also noch die Entwicklung des Darmmikrobioms und kann die Vielfalt der Bakterien erhöhen. Neben dem Einfluss auf das Mikrobiom sind die ersten 1000 Tage insgesamt für die „Epigenetik“, also die Entwicklung der kindlichen Gene nach der Zeugung, höchst relevant. Zu diesem spannenden Thema findest du mehr auf meinem Blog.
Wie kannst du das Mikrobiom deines Babys positiv beeinflussen?
Bestimmte Faktoren, die du beeinflussen kannst, können sich positiv oder auch negativ auf das Mikrobiom deines Babys auswirken. Ein bisschen hast du es also selbst in der Hand. Positiv für die Entwicklung eines gesunden Darmmikrobioms sind das Stillen im ersten Lebensjahr und das allmähliche Einführen von Beikost. Das senkt nachweislich das Risiko, Allergien zu entwickeln. Achte zudem auf ausreichend Bewegung, Schlaf und möglichst regelmäßige Mahlzeiten für dein Baby.
Was schadet dem Mikrobiom deines Babys?
Salz, Zusatzstoffe, Zucker und zu viel tierische Proteine in der frühkindlichen Ernährung schaden deinem Kind und der Mikrobiota deines Babys. Keine Panik: Das passiert nicht bei ein paar Happen Laugenbretzeln, sondern hängt von der Menge und Häufigkeit ab. Tierisches Eiweiß in Fisch, hellem Fleisch, Ei und Milch tun im zweiten Lebenshalbjahr in kleinen Mengen sogar gut. Auf Zucker, Zusatzstoffe und Salz kann dein Baby aber ganz verzichten.
Wenn dein Kind Antibiotika nehmen muss, um Krankheitserreger zu bekämpfen, werden leider auch gute Darmbakterien abgetötet. Das kann ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Asthma im späteren Leben bedingen. Also solltest du deinem Baby nur, wenn wirklich nötig, Antibiotika geben, natürlich in Absprache mit deinem Kinderarzt.
Das solltest du mitnehmen:
Das Mikrobiom ist wichtig für die Gesundheit und das Immunsystem deines Kindes.
Es wird beeinflusst durch:
- Genetik der Eltern
- Darmflora und Vaginalflora der Mutter
- Geburtsmodus (ob ein Kind per Kaiserschnitt oder vaginal geboren wurde)
- Ernährung (Muttermilch oder Formula, sowie die spätere Ernährung)
- Umwelteinflüsse
- Medikamente
Vor allem die Art der Geburt und das Stillen legen die Grundlage für ein ausgeprägtes und funktionstüchtiges Mikrobiom deines Babys. Und das ist für die Gesundheit im späteren Leben wichtig. Natürlich lässt sich ein Kaiserschnitt nicht immer verhindern. Dann ist in meinen Augen „Vaginal Seeding“ eine gute Option.
Ich hoffe, das war jetzt nicht zu viel Wissenschaft. Aber ich finde es wichtig, dass meine Leser verstehen und auch selber nachforschen können, worum es geht. Ich freue mich auf Rückmeldung und danke Julia sehr für unsere großartige Zusammenarbeit!
Schaut euch gerne das Videogespräch auf YouTube von Julia und mir an, da gehen wir nochmal genauer auf Ernährung in der Schwangerschaft ein. Noch mehr Wissenswertes findet ihr auf meinem Blog und auf meinem Instagram-Kanal. Schaut gerne vorbei.
Hier noch einige Quelenangangaben, auf die ich mich im Artikel beziehe:
1https://link.springer.com/article/10.1007/s00108-022-01395-9
2Ratsika A, Codagnone MC, O’Mahony S, Stanton C, Cryan JF. Priming for Life: Early Life Nutrition and the Microbiota-Gut-Brain Axis. Nutrients. 2021 Jan 28;13(2):423.
3Pannaraj PS, Li F, Cerini C, Bender JM, Yang S, Rollie A, Adisetiyo H, Zabih S, Lincez PJ, Bittinger K, Bailey A, Bushman FD, Sleasman JW, Aldrovandi GM. Association Between Breast Milk Bacterial Communities and Establishment and Development of the Infant Gut Microbiome. JAMA Pediatr. 2017 Jul 1;171(7):647-654.
4Dominguez-Bello M.G., Costello E.K., Contreras M., Magris M., Hidalgo G., Fierer N., Knight R. Delivery mode shapes the acquisition and structure of the initial microbiota across multiple body habitats in newborns. Proc. Natl. Acad. Sci. USA. 2010;107:11971–11975.
5Radke, M. (2012). Die Darmflora bei Kaiserschnitt-Kinder undihre Rolle für die Gesundheit. Die Hebamme, 25,(04), 274–278. doi:10.1055/s-0032-132015
6 https://www.spektrum.de/news/wie-sinnvoll-ist-die-bakterien-impfung-wirklich/1668474